Sich regen bringt Segen
Nach dem frühen Schlaf fiel das Aufstehen mit den Hühnern am nächsten Morgen viel leichter als sonst. Während alles noch schlief schlüpfte ich in meine Trekkingschuhe und stahl mich auf den Weg. Auf dem Smartphone hatte ich den Schrittzähler aktiviert, aber die Musikberieselung blieb stumm. Ich wollte den Vögeln beim Tagesstart zuhören, meinen Schritten auf dem Kies, dem Murmeln des kleinen Baches und dem Rauschen der Bäume, die sich in der sanfte Brise wogen.
Mein früher Bettverzicht war Claudias Vortrag zum Energieumsatz geschuldet.
„Weniger essen“, sagte sie, „ist nur die halbe Miete. Die andere Hälfte ist höherer Verbrauch. Der Körper verbraucht für den Herzschlag, die Verdauung und andere Grundfunktionen, die auch während des Schlafes aktiv sind, Energie, den sogenannten Grundumsatz. Den Grundumsatz kann man schätzen, indem man das Körpergewicht mit 24 multipliziert. Nimmt man weniger Energie zu sich als den Grundumsatz, bedient sich der Körper an den Reserven, die er in jeder einzelnen Zelle angelegt hat. Man muss rund 7700 kcal Energie mehr verbrauchen als konsumieren, um einen Kilogramm leichter zu werden.“
Diese Rechnung war einfach, das Durchhalten bisher ebenfalls. Die fast fünf Pfund, die ich in den vergangenen Wochen leichter geworden war, deckten sich recht gut mit den Kalorien, die ich nicht zu mir genommen hatte. Allerdings, und davor hatte mich Claudia gewarnt, holt sich der Körper die nötige Energie zuerst aus der Muskelmasse, weil sie dort schneller verfügbar ist. Dadurch schwinden die Muskeln schneller als das Fett. Daher, so Claudia, sollte das Fasten immer von körperliche Aktivität begleitet werden.
Genau deswegen war ich nun bereits auf dem Weg durch den frühlingshaft kühlen Sonntagmorgen. Der Kies knirschte unter meinen Schritten, überall pfiff, zwitscherte und tschilpte es und aus einer der sich im Wind wiegenden Pappeln tackerte der Specht seinen Balzruf unüberhörbar über das Land. Die Luft bezauberte mit dem Parfüm der ersten Blüten, die frühe Sonne ließ das frische Grün der jungen Blätter erglühen und tünchte den Himmel in zarte Schattierungen von Blau.
Zwei Stunden zügiges Gehen hatte ich mir vorgenommen. Bewegung regt Herz und Kreislauf an, aktiviert die Darmtätigkeit und macht durch die Ausschüttung der Glückshormone Dopamin, Serotonin und Endorphin einfach gute Laune, eingehüllt in die Symphonie aus Vogelgezwitscher und Blütenduft.
Das über die Nahrung nur schwer aufzunehmende Vitamin D ist ein weiterer Stimmungsaufheller und bildet sich in der Haut über die aufgenommenen UV-B Strahlen. Gegen die Hautschädigung durch UV-A Strahlen hatte ich Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 10 aufgetragen. Das erlaubte es mir, gut zwei Stunden ohne das Risiko von Hautschäden unter der Sonne zu verweilen.
Schon lag die Hälfte des Weges hinter mir und es wurde Zeit, die ausgeschwitzte Flüssigkeit durch einen guten Schluck Wasser mit Magnesium aus der Trinkflasche zu ersetzen. Als Energiespender gönnte ich mir ein Stück Traubenzucker und dann ging es mit großen Schritten schon wieder zurück nach Hause.
Nach der Dusche machte mich der Blick auf die Waage stolz auf meine Disziplin, denn wegen des Flüssigkeitsverlusts war ich um einiges leichter, als ich erwartet hatte. Beim Sonntagsfrühstück mit meinen Lieben feierte ich den bisherigen Erfolg und genoss das frisch bereitete Müsli mit griechischem Joghurt, das ich mit angebratenen Apfelstückchen und etwas Zimt aufgewertet hatte.
Ich nahm mir vor, dieses aktive Erwachen von nun an öfter zu praktizieren.