Snacks und andere Sünden

Die unheimlichen Bissen zwischendurch

Nachdem mich Claudia mit den besten Wünschen entlassen hatte und meine Tochter in ihre Hausaufgaben vertieft war, nahm ich mir ein Blatt Papier und notierte meine letzten Bissen. Zu meinem Schreck musste ich feststellen, dass mir zahlreiche kleine Häppchen zwischendurch entfallen waren und dass ich von den meisten Mahlzeiten nicht sagen konnte, was es gewesen war. Wo, das ja. Mit wem, auch. Wann, sowieso. Aber was?

Um diese Erinnerungslücken zu vermeiden, begann ich mit meinem Telefon zu fotografieren, was ich auf dem Tisch hatte. Nach einer Woche fanden sich viele erstaunliche Bilder, wie zum Beispiel drei Stück Kaffeegebäck beim Besuch von Mathilde. Die Frau bäckt wirklich gut, gefährlich gut, wie ich erkennen musste. 

Am Donnerstag war ich mit Klothilde im Kino gewesen und neben dem Popcorn und der Cola während der Vorstellung erschien in meinem Fotoalbum für danach eine geteilte Portion Pommes und Currywurst, die von einem kleinen Bier begleitet worden war. Im Büro hatte ich beim Geburtstag eines Kollegen ein Stück Torte, beim Warten auf Verena einen Latte Macchiato und himmlisches Tiramisu. Vier Stück gekühlte Kinder Milchschnitte hatte ich mir wie meiner Tochter als Belohnung für die absolvierten Aufgaben gegönnt. Wirklich? Vier? Ich war ernüchtert.

Mein Tagesablauf begann dem eines Engerlings zu ähneln und die Warnung Claudias vor Kohlehydraten stand mir wie in grellen Neonbuchstaben vor Augen. In der Früh ein Brötchen mit etwas Nutella, im Büro eine Tasse Kaffee mit zwei Stück Zucker und zur Jause ein Schinken-Baguette mit einer Sprite aus der Kantine. Drei Packungen Chips verschwanden beim abendlichen Fernsehen so nebenbei, genauso wie eine Tafel Vollmilchschokolade: das Fotoalbum am Handy ließ mich wie eine gefräßige Raupe erscheinen, die keine Gelegenheit auslässt, jeden erreichbaren Bissen zu verschlingen.

Neben der unglaublichen Häufigkeit unbewusster Energiezufuhr erstaunte mich der Energiegehalt der Snacks und Häppchen, die zwischen den Mahlzeiten meinen Tag erhellten. Nach einer Stunde am Computer war das Ergebnis auf dem Schirm und ich traute meinen Augen kaum:

Eine Tabelle der verzehren Kalorien

Über 9600 Kalorien hatte ich in dieser Woche nebenbei zu mir genommen, dazu sieben Mittagessen mit je 800 und sieben Abendessen mit je 600 Kalorien. Das ergab eine Energiezufuhr von über 23500 Kalorien pro Woche, oder 3361 pro Tag.

Mir wurde schwindlig. Bei etwa 2000 kcal, die der Körper pro Tag verbraucht, war mein Lebensstil um gut 68% zu „üppig“. Das erklärte die überschüssige Energie, die eingelagert und auf der Waage sichtbar wurde. Als sich die Nebel des Erschreckens langsam von meinen Augen gehoben hatten, studierte ich die kleine Grafik, die mein Tabellenprogramm aus den trockenen Zahlen angefertigt hatte.

Diagramm anteiliger Kalorien bei der Nahrungsaufnahme

Klar wusste ich, dass Claudia weiß, wovon sie spricht. Aber nun bekam Ihre Frage nach dem Knabbern beim Fernsehen plötzlich noch mehr Sinn. 30% machten Chips in der Endabrechnung aus und zusammen mit der verschwundenen Tafel Schokolade 35%. Mit den morgendlichen Nutella Brötchen und den Schinkenbaguettes mit Sprite zur Pause waren 63% des Überkonsums einwandfrei identifiziert.

Also zog ich mir die Schuhe wieder an und marschierte zum Supermarkt, um mir für den Anfang ein Glas zarter Gewürzgurken zu kaufen. Dazu gesellten sich einige Äpfel und Birnen. Bananen und eine Packung Müsli kamen ebenfalls in den Korb, um mein Frühstück zu verschlanken. Den etwas verdutzten Blick von Manuela an der Kassa, die den chipsfreien Einkaufskorb nicht gewohnt war, ließ ich mit einem sanften Lächeln unbeantwortet.

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