Gesundes ohne Reue kosten
Gürkchen statt Chips hat mich sofort begeistert. Sie knacken sportlicher als frische Chips, die pikante Würze und der milde Essig bremsen meine Knabbersucht und machen schlichtes Leitungswasser zur süßen Begleitung. Weil die Gürkchen aus dem Glas kommen, habe ich der Umwelt auch drei leere Chipstüten in einer Woche erspart. Eine klare win - win - win Situation.
Nachdem das mit den Gurken so gut gelaufen war, suchte ich nach Ersatz für die Schinken-Baguettes zur Jause. Weißbrot, so sagte das Internet, liefert viele „leere“ Kalorien, also jede Menge Energie ohne anhaltende Sättigung. Vollkorn hingegen liefert Spurenelemente, Vitamine und vor allem Ballaststoffe, die für längere Zeit den Appetit zügeln und die Verdauung regulieren.
Beim Bäcker besorgte ich einen Laib Dinkelbrot und beim Metzger zarten Rauchschinken. Eine Jausendose fand sich im Schrank und schon war das Thema der üppigen Schinken-Baguettes abgehakt. Zwei vollwertig duftende Dinkelbrotscheiben als klassischer Doppeldecker, dazwischen köstlich magerer Schinken und etwas frisch gerissener Meerrettich zur Stimmungsaufhellung: Herz, was willst du mehr?
Der Mehraufwand für die morgendliche Produktion hielt sich in Grenzen — ich machte gleich mehrere Brote, eins für meine Tochter, eins für mich und noch eins als Ersatz für das Nutella Brötchen. Da ich gerade im Schwung war, ersetzte ich die Sprite zum Baguette durch ein großes Glas Leitungswasser, in dem ich eine halbe Magnesium-Tablette auflöste. Geschmacklich erinnerte der Trank an die inzwischen entbehrliche Sprite und so war die neue Jause auch kulinarisch ein voller Erfolg.
Gesundheitlich sowieso: Eine Tablette liefert 80% des täglichen Magnesium-, 15% des Kalium- und über 200% des Vitamin B6 und Vitamin B12 Bedarfs. Da ich zur Pause nur eine halbe Tablette ins Wasser fallen ließ, begleitete die andere Hälfte die Gewürzgürkchen beim Fernsehen, was auch meine Verdauung erfreut zur Kenntnis nahm und sich zunehmend stabilisierte.
Gerade war die erste Woche dieser Umstellung um, da traf ich auf dem Weg zum Bus ganz zufällig Claudia. Ja, tatsächlich, ich war auf dem Weg zum Bus. Irgendwo hatte ich aufgeschnappt, dass Menschen, die auf’s Auto verzichten, um 5% leichter sind. Also habe ich mir zur Probe eine Wochenkarte geleistet und mein Leben dem Takt der Verkehrsbetriebe angepasst - aber ich schweife ab, ich wollte ja von meinem Treffen mit Claudia erzählen.
Da wir beide etwas Zeit hatten, suchten wir uns ein nettes Café für ein Schwätzchen. Also das dachte ich. Claudia, wohl noch unter dem Eindruck unseres letzten Gesprächs in ihrer Praxis, stellte die Weichen anders und so saßen wir dann in einem etwas anderen Lokal zusammen.
„Ist der Laden nicht fantastisch?“ fragte Claudia mit glänzenden Augen eher rhetorisch und fuhr, ohne meine Zustimmung abzuwarten, begeistert fort: „Die haben hier ausschließlich selbst gemachte Sachen. Vollkorn-Gebäck, vier verschiedene Soßen, Salat frisch an der Theke und dazu spannende Sorten Tee mit ungewöhnlichen Gewürzen statt Teein oder Koffein,“ und mit den Worten: „Ich hol’ mir gleich was an der Theke, kommst du mit?“ war sie schon auf dem Weg.
Am Tisch zurück, mit einer Tasse heißen Ingwer Tees und einem kleinen Teller voller köstlicher Vollkorn-Häppchen, erzählte ich Claudia von meiner geänderten Gestaltung der Mahlzeiten. Sie zeigte sich beeindruckt von meiner Initiative und plauderte ein wenig aus ihrer reichen Erfahrung:
„Einige meiner Patienten sind vom Gewichtsverlust nach der Umstellung auf bekömmlicheres Essen eher enttäuscht. Oft hatten sie erwartet, nach einer Woche mit Gürkchen und Vollkornbrot die über lange Jahre angesammelten Energie-Reserven los zu sein. Aber so schnell geht das nicht, du wirst etwas Geduld benötigen, um dein Idealgewicht zu erreichen.“
Mein fragender Blick war wohl Wasser auf Claudias Mühle und so fuhr sie, ohne dass ich meine Frage formulieren musste, ansatzlos fort: „Du solltest, wenn du es sehr meinst, mit maximal 65 Gramm pro Tag Gewichtsverlust rechnen. Alles mehr kann schädlich sein und sollte nur unter ärztliche Aufsicht versucht werden. Wenn du langfristig 40 Gramm pro Tag verlierst, bist du auf der sicheren Seite und ersparst dir die Enttäuschungdes ‚Jojo'-Effekts. “
Das, so dachte ich, hätte meine heilkundige Freundin auch diplomatischer formulieren können. 40 Gramm pro Tag? Damit habe bei 30 kg Übergewicht 750 Tage zu tun. Den Frosch im Hals spülte ich mit einem Schluck Tee hinunter: „Selbst wenn ich 65 Gramm pro Tag verliere, bin ich eineinhalb Jahre mit Abnehmen beschäftigt…“
Claudia bemerkte wohl das Vibrieren meiner Stimme und erhob ihre akademischen Brauen für einen Nachschlag: „Meine Liebe," so beginnt Claudia immer, wenn es Ernst wird, „Gewicht verliert man nicht wie einen Regenschirm. Es gibt zwar einige Mittel, schneller abzunehmen, aber die sind nicht alltagstauglich und wirken selten lang. Die beste Regel lautet: so wie man langsam zunimmt, sollte man auch wieder langsam abnehmen. Der Körper ist ein sehr sensibles Chemiewerk, das aus Nahrungszufuhr Energie gewinnt. Um das Wohlbefinden nicht durch übertriebenes Fasten über lange Zeit zu stören, sollte man sich realistische Ziele setzen.“
Doch nach einem Schluck Tee spannte sie den Schirm der Hoffnung wieder über mir auf: „Auch wenn das Gewicht gemächlich weniger wird, wirst du die positiven Auswirkungen der eingesparten Kalorien bald bemerken. Du wirst agiler, die Müdigkeit verschwindet, du sparst dir einiges Geld und senkst das Risiko, an einer der bekannten „Zivilisationskrankheiten“ zu leiden. Das sollte doch genug Motivation für einen neuen Lebensstil sein?“
Damit hatte sie mich. Und schon begann ich im Kopf mein Leben umzugestalten. Was noch vor drei Wochen nach asketischem Verzicht ausgesehen hatte, erschien nun in den hellen Farben des Aufbruchs. Manchmal braucht es einfach eine gute Freundin, die sich vor der Wahrheit nicht scheut und nach der kalten Dusche gleich mit einem flauschigen Handtuch zur Seite steht.